
Verjähren Urlaubsansprüche?
Was Sie zum Urlaubsanspruch jetzt wissen müssen
Alle Arbeitnehmende haben in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Spätestens bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses stellt sich oftmals die Frage, ob nicht genommene Urlaubstage ersatzlos verfallen oder aber ob nicht genommene Urlaubstage anderweitig abzugelten sind. Diese Frage stellt sich auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) und legt die die Frage dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) vor (Beschl. v. 29.09.2020, Az. 9 AZR 266/20). Wir beraten, betreuen und vertreten Sie in allen Angelegenheiten auf dem Gebiet des Arbeitsrechts.
Im Gesetz heißt es, dass Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt, aber auch genommen werden muss (§ 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG). Bis Februar 2019 wurde daraus geschlossen, dass nicht gewährter oder auch nicht genommener Urlaub zum Jahresende oder zum Ende des Übertragungszeitraums verfällt. Seit Februar 2019, nach Umsetzung eines wegweisenden Urteils des Europäischen Gerichtshofes (EuGH, Urt. v. 06.11.2018, Az. C-684/16), steht fest, dass der Urlaub jedenfalls dann verfällt, wenn Arbeitgebende ihre Mitwirkungsobliegenheiten erfüllt haben.
Die Mitwirkungsobliegenheiten sind erfüllt, wenn Arbeitgebende die Arbeitnehmenden dazu aufgefordert haben, den Urlaub zu nehmen und ihnen mitgeteilt haben, dass der nicht genommene Urlaub verfallen kann. In den meisten Betrieben hat sich mittlerweile eine entsprechende Praxis etabliert: Mit konkreter Aufforderung an die Beschäftigten, Urlaub zu nehmen und nach rechtzeitigem Hinweis, dass nicht genommener Urlaub andernfalls verfällt, genügen Unternehmen ihrer Mitwirkungsobliegenheit. Der gleichwohl nicht genommene Urlaub verfällt. Das heißt: Urlaubsansprüche verfallen zum Ende des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums, wenn Arbeitgebende ihre Mitwirkungsobliegenheiten erfüllt haben. Aber wann verfallen Urlaubsansprüche, wenn Arbeitgebende ihre Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt haben? Diese Frage ist Gegenstand eines arbeitsrechtlichen Gerichtsverfahrens.
Die klagende Arbeitnehmerin verlangt von ihrem Arbeitgeber die Abgeltung von insgesamt 101 Urlaubstagen aus den Jahren ihrer Beschäftigung von 2011 bis einschließlich 2017. Ihr Arbeitgeber habe seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt. Sie sei von ihrem Arbeitgeber nicht aufgefordert worden, Urlaub zu nehmen und nicht darauf hingewiesen worden, dass der Urlaub andernfalls verfällt. Sie meint, alle 101 Urlaubstage müssten mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgegolten werden (erstinstanzlich: ArbG Solingen, Urt. v. 19.02.2019, Az.: 3 Ca 155/18).
Hiergegen erhob der beklagte Arbeitgeber im Berufungsverfahren die Einrede der Verjährung. Er meint, Urlaubsansprüche verfielen jedenfalls nach Ablauf der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB). Nur die noch nicht verjährten Urlaubstage müssten mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgegolten werden.
Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf vertritt die Auffassung, dass solange Arbeitgebende ihre Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllen, Urlaubsansprüche weder nach § 7 Abs. 3 BurlG verfallen noch nach §§ 194 f. BGB verjähren. Auch im konkreten Fall seien die Urlaubsansprüche der Klägerin nicht verfallen und nicht verjährt, sodass alle 101 angesammelten Urlaubstage aus den Jahren 2011 bis 2017 abzugelten seien (Berufungsinstanz: LAG Düsseldorf, Urt. v. 21.02.2020, Az.: 10 Sa 180/19). Hiergegen legte der Beklagte wiederum Revision ein. Nunmehr hat das Bundesarbeitsgericht darüber zu befinden, ob eine Verjährung der Urlaubsansprüche überhaupt in Betracht kommt. Das Bundesarbeitsgericht legte diese Frage dem Europäischen Gerichtshof vor:
Verjähren Urlaubsansprüche innerhalb der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren, wenn Arbeitgebende ihre Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt haben? Wenn Arbeitnehmende also nicht durch entsprechende Aufforderungen und Hinweise tatsächlich in die Lage versetzt wurden, den Urlaubsanspruch auszuüben? Entfällt der nicht genommene Urlaub dann spätestens nach Auflauf der dreijährigen Verjährungsfrist ersatzlos? Diese Variante wäre für die Arbeitgebenden, die ihre Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllen, zumindest ein letzter Ausweg, Mehrkosten im Zusammenhang mit der Abgeltung angesammelten Urlaubs zu minimieren.
Oder können Arbeitnehmende Urlaubsansprüche grundsätzlich unbegrenzt ansammeln, beanspruchen und bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Abgeltung bringen? Eine Freude für alle Arbeitnehmenden.
Für beide Seiten, für Arbeitgebende und für Arbeitnehmende, bleibt es spannend.
Quelle: EuGH mit Beschl. v. 29.09.2020, Az. 9 AZR 266/20, EuGH mit Urt. v. 06.11.2018, Az. C-684/16.
Das könnte Sie auch interessieren
Politik, Gesetze und Rechtsprechung
Erfahren Sie in unserem Magazin Aktuelles aus unserer Kanzlei, informieren Sie sich über politische Gesetzgebung und über aktuelle Rechtsprechung.

Können Urlaubsansprüche verjähren?
Alle Arbeitnehmende haben in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Spätestens bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses stellt sich oftmals die Frage, ob nicht…

Rufbereitschaft als Arbeitszeit?
Sie befinden sich in Rufbereitschaft. Sie halten sich zwar außerhalb Ihrer Dienststelle bereit, müssen jedoch binnen 20 Minuten in Arbeitskleidung und mit dem Einsatzfahrzeug …

Antidiskriminierungsrecht für Arbeitgebende
Was besagt das Allgemiene Gleichbehandlungsgesetz (AGG)? Welche gesetzlichen Pflichten habe ich? Wie viel Schadensersatz oder Entschädigung muss ich zahlen? Wie formuliere ich …